Auftaktveranstaltung in Cottbus mit 100 Gästen

Mehr Ausbildung für das Land Brandenburg – wie geht das? Diese Frage stand am 15. Februar 2018 im Stadthaus Cottbus im Mittelpunkt der offiziellen Auftaktveranstaltung der KAUSA Servicestelle Brandenburg und ihrer Podiumsdiskussion mit einer hochkarätig besetzten Runde. Sie ging aber auch ans Fach-Publikum, denn von den Antworten wird für das Land Brandenburg, nicht nur für seine Unternehmen sehr viel abhängen. Mehr als 100 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Verwaltung waren aus Interesse am Thema und für die Möglichkeit, die KAUSA Servicestelle Brandenburg auch auf diesem Wege kennenzulernen und sich zu vernetzen, gekommen.

Mindestens 100 Ausbildungsplätze sollen durch die Arbeit des KAUSA-Teams bis Ende 2020 zustande kommen und das vor allem dort, wo es keine oder kaum noch einheimische Bewerber/-innen um Ausbildungsplätze gibt. Auf dem Land und in kleinen und mittelständischen Unternehmen – und überall dort, wo Firmen motivierte und lernbereite Auszubildende suchen. Dieses Ziel ist durchaus anspruchsvoll, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheint.

Wie bei Festveranstaltungen üblich, gab es eine Begrüßung – hier durch die Sachgebietsleiterin für Jugend Kultur und Soziales und Vertreterin des OB von Cottbus, Maren Dieckmann sowie die Fachbeiträge zum Thema Ausbildung von Migrantinnen und Migranten aus Perspektive des Bundesbildungsministeriums und des brandenburgischen MASGF mit vielen klugen Gedanken und Fakten. Nachdem Projektleiterin Charlotte Kruhøffer unser Team vorgestellt hatte, versammelte sich zum Haupttagesordnungspunkt der Veranstaltung die Podiumsrunde um die Moderatorin Dr. Anne von Oswald von der Fachstelle Migration, Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung. Sie führte die Diskussion über die Herausforderungen, aber vor allem über die möglichen Wege, mehr junge Migrantinnen und Migranten in Ausbildung zu bringen. Fragte, nach der aktuellen Situation auf dem Ausbildungsmarkt und den Ideen dafür, wie junge Migrantinnen und Migranten mit ausbildungsbereiten Firmen erfolgversprechend zusammengebracht werden können: Es diskutierten Kornelia Haugg, die Abteilungsleiterin für „Berufliche Bildung; Lebenslanges Lernen“ aus dem Bundesbildungsministerium, Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt aus dem Brandenburger MASGF, Bernd Becking, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesarbeitsagentur und von den Sozialpartnern DGB und UVB Berlin-Brandenburg zum einen Christian Hoßbach, der Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, zum anderen Alexander Schirp, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und schließlich die Pflegedirektorin des Carl-Thiem-Klinikums Cottbus, Andrea Stewig-Nitschke.

Wie die Diskussion zeigte, ist das Projektziel alles andere als leichte zu erreichen. Aber die Basis dafür ist gut: Auf vielen Ebenen gibt es bereits funktionierende Strukturen für Integration und Ausbildung junger Leute im Land, wie z.B. ein funktionierendes System zur Sprachförderung, das zusammen mit erprobten Instrumenten von BAMF, Jobcenter und Arbeitsagentur zur Berufsorientierung und Ausbildungsbegleitung wirkt. Es reicht von Integrationskursen über berufsbezogene Sprachkurse, Willkommensklassen über die EQ-Einstiegsqualifizierung bis zum Assistenzprogramm AsA, die Assistierte Ausbildung. Dazu kommen eine Reihe von Projekten und Initiativen, die auf verschiedenen Ebenen bedarfsgerecht unterstützen. Hier lägen in der wichtigen Vernetzung der Akteure und Programme viele Möglichkeiten, darüber bestand Einigkeit. Dafür sollte die Auftaktveranstaltung ein weiterer Impuls sein. Natürlich gibt es in Bezug auf die berufliche Integration einer so großen Anzahl junger Migrantinnen und Migranten auch eine Reihe von Fehlschlägen, Missverständnissen und Hürden zu verarbeiten. Das wurde in den Redebeiträgen angesprochen und auch von der Podiumsrunde aufgegriffen. So gäbe es im Bereich des Ausbaus der Infrastrukturen für das Internet oder der Mobilität auf dem Land teilweise erhebliche Probleme, wo es besonders für junge Migrantinnen und Migranten schwierig ist, pünktlich zwischen Wohnort, Betrieb und Berufsschule unterwegs zu sein, wenn kaum Busse oder Bahnen fahren. Man könne „fünf Seiten dazu aufschreiben, was es für Hürden gibt“, betonte Hartwig-Tiedt, „eine Grundschwierigkeit bleibt, dass wir Menschen zu stark in Schubladen stecken, hier haben wir die größte Aufgabe“. Kein Wunder, dass das Thema interkulturelle Verständigung auch an diesem Tag ein wichtiges ist, denn kurz nach dem Ende der Auftaktveranstaltung wollten die meisten Besucher auch beim großen Sternmarsch für mehr Weltoffenheit in Cottbus dabei sein.

Bernd Becking, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesarbeitsagentur brachte eine Reihe von Fakten in die Diskussion ein, die zeigten, dass es im Land Brandenburg keine Alternative zur Integration einer größtmöglichen Anzahl der rund 11.000 Migrantinnen und Migranten zwischen 15 und 65 Jahren in den Arbeitsmarkt gibt. Hier würden in den nächsten Jahren rund 30 % aller derzeit Beschäftigten allein aus Altersgründen ihre Arbeitsplätze verlassen. Von den 11.000 rund 50% in den kommenden fünf Jahren in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen, hielt er u.a. deshalb für realistisch und sagte: „Wir haben über die Themen Flucht und Migration in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine Zusammenarbeit, Instrumente und Strukturen etabliert, die gezielte Sprachförderung, Praktika und Berufsausbildung möglich machen. Das gab es so vorher nicht, das ist einmalig in Europa.“

Yvonne Meyer von der IHK-Potsdam sieht in der für Brandenburg praktisch nicht zuverlässig greifenden „3+2-Regel“ ein strukturelles Hindernis für mehr Ausbildung, weil die Praxis ohne Bleibegarantie zeige, dass Unternehmen das Risiko von teuren Ausbildungsabbrüchen vermeiden wollten. „Wir könnten viel mehr Jugendliche in betriebliche Ausbildung bringen, wenn die 3+2-Regel hier umgesetzt würde“, sagte sie. Auch Monika Kadur vom Projekt BleibNet proQuali beim BBAG e.V. sah das so. Sie forderte von den politischen Akteuren der Runde, sich dafür stärker einzusetzen.

Aber wie schafft man es, die jungen Leute für eine Ausbildung zu begeistern, wollte Dr. Anne von Oswald, die Moderatorin von der Fachstelle Einwanderung beim Minor Projektkontor für Bildung und Forschung von der Runde und dem Publikum wissen, wenn, wie Carmen Kurtz vom OSZ II Spree-Neiße berichtete, die Hälfte ihrer Willkommensklassen studieren will? Auch Solveig Reichwald, die Leiterin vom Jugendmigrationsdienst beim Diakonischen Werk Niederlausitz e.V. bestätigt diese Erfahrung: „Die Migranten zwischen 12 und 27 Jahren mit guten Noten und guten Sprachkenntnissen wollen vor allem studieren“, sagte sie.

Es ist ein Vorteil für die Zielstellung, mehr Ausbildung im Land Brandenburg zu realisieren, dass es in vielen Einrichtungen inzwischen Berufsbildungsexperten, Migrations- und Integrationsfachleute gibt, die bereits eng vernetzt sind und sich gegenseitig unterstützen. Sie müssten gemeinsam die Aufgabe bewältigen über das duale Ausbildungssystem, die mehr als 300 Berufe und vor allem die Vorteile von betrieblicher Ausbildung zu informieren und zu beraten. „Auf sie geht das KAUSA-Projekt aktiv zu und wird selbstverständlich auf die Leistungen von Partnerinstitutionen und -initiativen verweisen.“ erklärte Charlotte Kruhøffer, die Leiterin des Projekts KAUSA Servicestelle Brandenburg bei der Vorstellung ihres Teams.

„Viele der Geflüchteten, der Migrantinnen und Migranten, die ich kennengelernt habe, wollen etwas lernen, sie sind sehr motiviert“, sagte Anne Diadik vom Projekt „Türöffner“ am OSZ I in Cottbus, „…wir brauchen gute, herzliche Pädagogen und mehr Hilfe von den Betrieben, mehr Praktikumsplätze…“ und „…nicht dieses ständige Du musst pünktlich sein, Du musst pünktlich sein…“.

Hassan Alhassan aus Syrien hatte kurz zuvor auf eine spontane Nachfrage von Kornelia Haugg erzählt, dass es für ihn schwierig war, einen Praktikumsplatz zu finden: „Ich habe drei Jahre in Syrien Pädagogik studiert, aber ohne Abschluss. Ich war deshalb in der KAUSA-Stelle. Wir haben da einen Plan gemacht. Ich möchte jetzt Erzieher werden. Dann sind wir zur IHK gefahren. Ich weiß, ich muss Deutsch lernen. Ich habe jetzt ein Praktikum. Es ist ehrenamtlich. Da helfe ich ein bisschen den Erziehern.“

Pflegedirektorin des Carl-Thiem-Klinikums, des mit rund 1.300 Mitarbeitern größten Arbeitgebers in Cottbus, Andrea Stewig-Nitschke, sieht in Praktika eine wichtige Gelegenheit, den Zugang zu den Unternehmen zu ermöglichen. Vor allem der Pflegebereich ihres Hauses stelle jährlich ca. 200 Praktikumsplätze zur Verfügung, in sieben Berufsbildern würden aktuell Ausbildungsplätze angeboten. Sie berichtete: „Wir hatten 2017 insgesamt 10 internationale Azubis. Mit einem bis zwei pro Klasse läuft das, nicht ohne Aufwand, aber gut.“

Gerade in der Praktikumszeit, darüber waren sie die Redner einig, gebe es die unverzichtbare Möglichkeit, dass sich Ausbildungsplatzberwerber, ob nun geflüchtet, mit oder ohne Migrationshintergrund und Unternehmen besser kennen lernen und die hier wichtigen Regelsysteme erlernen. Auch dafür seien Begleitinstitutionen gut. Unterstrich neben Bernd Becking auch Alexander Schirp, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). „Natürlich gucken die meisten Unternehmen: Wie kriegen wir den Fachkräftebedarf gedeckt… wer null Bewerber hat, geht auch eher ins Risiko, in der Hoffnung, dass mit unterstützenden Angeboten und viel Sprachtraining die Ausbildung geschafft wird, denn Ausbildungsabbrüche sind sehr teuer…“, beschrieb Alexander Schirp die Situation der Unternehmen.

Deshalb sei es in der Phase der Berufsorientierung besonders wichtig, „… qualifizierte und fair bezahlte Praktika anzubieten, in denen tatsächliches Ausprobieren…“ möglich sei, so Christian Hoßbach, Vorsitzender des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg. Um mehr Ausbildung für junge Migrantinnen und Migranten oder Geflüchtete zu erreichen plädierte er dafür, besondere Aufmerksamkeit auf die „nötigen Vorbereitungssschleifen“ zu legen. „Wir müssen nichts neu erfinden und auch nicht die Ansprüche der Betriebe oder Ausbildungsstandards in Richtung Null-Linie fahren. Das will niemand. Wir müssen die durchaus vernünftigen Instrumente zur Vorbereitung und Unterstützung, die da sind, bekannt machen und nutzen“, unterstrich er. Auf die Frage, der Moderatorin Dr. von Oswald, ob denn auch Quoten für Migrantinnen und Migranten oder Geflüchtete vorstellbar wären, sagte er: „Ich denke, dass gemeinsames Handeln sehr viel wirkungsvoller ist, als über Quoten zu reden. Wichtig ist, dass sich mehr Unternehmen daran beteiligen, dass es ein gutes Angebot an Praktikums- und Ausbildungsplätzen gibt. Deswegen ist dieses KAUSA-Projekt super.“

Am Ende war die Diskussionszeit um, noch bevor die Moderatorin alle Fragen, die sie gern noch gestellt hätte, an ihre Adressaten richten konnte. Und sicher auch, noch bevor alle, die es vorhatten, ein Statement oder eine Frage an die Runde richten konnten. Aber, das war von vornherein klar und sollte schließlich auch den weiteren Austausch zu diesem Riesenthema und das gegenseitige Kennenlernen im anschließenden Netzwerkteil der Veranstaltung antreiben.

Das Team der KAUSA Servicestelle Brandenburg dankt der Stadtverwaltung Cottbus für die Möglichkeit, dass der Ratssaal ihres Stadthauses für die Auftaktveranstaltung mietfrei genutzt werden konnte. Ein herzliches Dankeschön auch das junge Streicher-Sextett des Cottbuser Konservatoriums, das mit dem ersten Satz aus Mozarts „Sinfonia concertante“ einen Höhepunkt im Programm setzte.